UKRAINE KRIEG, FLUCHT UND ANKOMMEN aus Roma Sicht - Juni 2022

Die grosse Solidaritätswelle in Südbaden ist schon seit 2 Monaten vorbei, eine trügerische Normalität ist eingezogen und trotzdem: es kommen täglich Flüchtlinge an.

Währenddessen sind bei uns die Lebensmittelpreise für die unteren Schichten um rd 20% gestiegen und in der Ukraine um 300% !

Bisher haben wir 11 Grossfamilien beraten, begleitet und zT betreut. Drei Grossfamilien sind weitergezogen, davon eine in die Ukraine zurück. Fast alle Familien sind im ländlichen Südbaden untergebracht. Die einzelnen Familien sind sehr unterschiedlich von Grossstadt-Roma aus Kiew und Chardiw, über Roma aus Siedlungen am Rande der Städte bis hin zu Roma aus Roma Dörfern, die zuvor nie Fremde (Gadje) gesehen haben. Einen Überblick über die verschiedenen Roma-Gruppen gibt diese ukrainische Seite: für Roma aus Chardiw, aus Lwiw, Solotonoscha, Pawlohrad, Winnyzja und aus Transkarpatien.

GROSSE VIELFALT DER UKRAINISCHEN ROMA

"Die Roma-Community in der Ukraine ist riesig. Offiziell gibt es 15 Hauptgruppen, von denen die Servo-Roma-Gemeinschaft die grösste ist. All diese Gruppen leben in verschiedenen Teilen des Landes, sprechen unterschiedliche Dialekte, haben unterschiedliche Religionen, Bräuche. Die Ukraine ist sehr vielfältig, das Kulturerbe der Roma ist es auch, und es könnte der Welt gezeigt werden. Aber meist bleibt es versteckt innerhalb der Familien. Sie haben Angst, zu zeigen, was sie haben." so die ukrainische Roma-Aktivistin und Künstlerin N. Tomenko im Interview.

Trotz relativ viel Medienarbeit - im SWR im Radio und TV-Landesnachrichten, im rdl und Zeitungen aber nur überregional die regionale BZ berichtete nicht - konnten wir außer einem mittelgrossen Wohnraum keine grossen Wohnräume für Grossfamilien finden. Deshalb sind die meisten Roma Grossfamilien bis heute in Gemeinschaftsunterkünften und nicht in Privatunterkünften. Der grösste Immobilienbesitzer und reichste Institution der Region die katholische Kirche antwortete nicht mal auf konkrete Anfragen an seine Roma/Sinti Anlaufstelle in Waldkirch, auf Nachfrage an die Verwaltung des Erzbischofs wurde uns ihr Bedauern mitgeteilt keinen Wohnraum zur Verfügung zu haben. Angesichts der abstürzenden Zahlen ihrer Mitglieder und der Zusammenlegung ihrer Gemeinden usw. sowie daraus folgendem Freiwerden von Immobilien (mit fast wöchentlichen Immobilien-Angeboten auf dem Markt) scheint uns dies unglaubwürdig.

Wir haben 2350 Euro an Spenden erhalten, danke! Der Grossteil wurde verwendet um die von uns betreuten Flüchtlinge in der Phase zwischen Ankommen und nach Antragstellung bis zur ersten Auszahlung ca 6 Wochen später mit Lebens- und Alltagsmitteln zu versorgen. Die Ämter gaben für diese Zwischenphase 50 bzw ein paar Wochen später 100 Euro pro Person.

Viele der in "Solidarität-Ukraine" Aktiven Gruppen etc. sonnten sich in ihrer Grosszügigkeit in der örtlichen Presse immer mit Gruppenfoto, währenddessen versuchten sie bei uns aktiv ihre alten nicht mehr gebrauchten Sachen unterzubringen. Da waren sie hinterher auf die Bedarfe der Roma-Flüchtlinge gingen sie hingegen nicht ein.

STEREOTYPE in DISKRIMINIERUNG

"Weisse Mutter und Kind" ist das allgemeine Bild des Ukraine Flüchtlings. Roma in Grossfamilien und noch dazu mit Männern sind das absolute Gegenbild. Zwischen den beiden Gruppen bestand schon aus den Vorkriegsjahren in der Ukraine eine hohe Spannung zT mit Pogromen. Jetzt in den Gemeinschaftsunterkünften auf engstem Raum werden daraus schnell Auseinandersetzungen, zumal die Roma mitbekommen wie sie in diesen Massenunterkünften bleiben müssen und die "Erwünschten" Wohnungen bekommen. Es gab Schwarzwaldgemeinden, die keine Roma aufnehmen wollten nur "wirkliche" Flüchtlinge; jedoch das Regierungspräsiduum unterband dies.

Ein anderes Beispiel: Drei Grossfamilien werden morgens ohne Angabe des Ziels in einen Bus gesetzt und in eine kleine Schwarzwaldgemeinde in die Gemeinschaftsunterkunft eine Turnhalle gebracht - wovon selbst die Gemeinde vorher nichts wusste. Ein Tag später hiess es von diesem Ort: Demonstration und Polizeieinsatz gegen Roma die schlägerten. Was war vorgefallen? Zwei Roma Frauen sind um Lebensmittel zu besorgen - sie hatten kein Geld - zum Lebensmittelmarkt und haben dort gebettelt. Der Besitzer hat sie von seinem Grundstück verwiesen. Das war es. Ein Polizeieinsatz, Demonstration und Schlägereien haben laut Polizei nicht stattgefunden.

Sammelstellen, Kleider-, Essens- und Möbelkammern äussern sich öfters frustriert gegenüber dem Verhalten der Roma. Hauptvorwurf ist bei allen, die Roma würden zu viel fordern und mitnehmen, über "Ihren Eigenbedarf" hinaus! So werden sie in den Verdacht gebracht: sie würden betrügen und daraus ein Geschäft machen. Natürlich nehmen sie mehr mit als ihre weissen ukrainischen Mitflüchtlinge, die meist 2, 3 Personen sind. Wir hatten zB eine Grossfamilie mit schlussendlich 18 Leut beherbergt, die braucht einfach mehr für den Eigenbedarf. Aus Kreisen von Ehrenamtlichen und Amtlichen heisst es so wiederholt und bildet sich das Bild: die Roma seien undankbar und aggressiv.

GYSPY PUNK - GOGOL BORDELLO - am 12. Juli in Karlsruhe

Die Band Gogol Bordello, Frontmann und gegründet vom ukrainischen Rom Eugene Hütz in ihrem Stück TEROBORONA– Thermische Verteidigung „gewidmet der unglaublichen Courage der ukrainischen Zivil-Verteidigung.“

Interview im rdl-Radio vom 22. Juli: Zur Lage der geflüchteten Rom:nja aus der Ukraine in Freiburg und Südbaden


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